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006. Kapitel: Unterweltler |Vor den Toren 003|

 

 

Der Laden in dem laut Helenas Aussage “nie was los war“ zog an diesem Tag drei weitere Kunden an. Jenes Wesen, das während der Mitarbeiter-versammlung angeklopft hatte, interessierte sich für eines der zahlreichen verwunschenen Schwerter im Bestand des Todeshändlers. Shirou erschauerte beim Anblick der echsenartigen, weißen Haut des etwa zwei Meter großen Schlangendämons, dessen animalische Augen wachsam durch den Raum streiften.

Die uralte, sichtlich abgenutzte Klinge trug wie jedes Schwert von hohem Rang einen eigenen Namen.
Zarashi hieß es, und wer damit einen Kontrahenten niedererstreckte nährte sich an dessen Seele, beraubte ihn um Teile seiner Kraft und seines Wissens, die er sich zeitlebens angeeignet hatte.

„Seelen und die Energie, die ihnen innewohnt, sind in der jenseitigen Welt die Grundlage aller Dinge“, bemerkte Yūsuke, ehe er das Schwert übergab. „Ein Übermaß dieser Energie, die wir Mana nennen, ist gleichbedeutend mit großer Macht. Aber so wie ich Vanadis kenne wirst du das schon bald am eigenen Leib erfahren.“

Er lachte vergnügt und verabschiedete Zarashis neuen Besitzer, der ihn soeben um 30 Goldstücke reicher gemacht hatte. Auf seine Nachfrage hin erfuhr Shirou, dass ein Goldstück dem Wert von 100 Kupferstücken entsprach. 25 der Letzteren ergaben wiederrum eine Silbermünze. Allem Anschein nach schien sein Chef also nicht gerade unter Geldsorgen zu leiden.


Wie lange er wohl gebraucht hatte, um all diese wertvollen Artefakte zusammenzutragen? Ein Menschenleben hätte angesichts der schieren Menge und Vielfallt der Gegenstände überall um ihn herum wohl kaum ausgereicht. Allerdings konnte der Todeshändler nach allem was er wusste mehrere hundert, vielleicht sogar tausend Jahre alt sein. Ein Gedanke, der ihm so gar nicht gefallen wollte.

 

Etwa eine halbe Stunde nachdem der Schlangendämon den Laden verlassen hatte klopfte es erneut. Kurz darauf entstieg eine angenehm menschlich wirkende, attraktive Frau mit wallendem, schwarzem Haar und tiefblauen Augen dem Tor zur Unterwelt. Yūsuke ließ in gewohnter Manier den Gentleman raushängen, doch sie würgte ihn ziemlich schnell ab und verlangte kurz angebunden ihre bestellte Ware, worauf Joe ihr ein in Leinen eingeschlagenes, altes Kästchen überrechte.

 

„Ich muss  ja nicht erwähnen, wie gefährlich dieses verdammte Ding ist, Asatru“, sagte der Hüne in erstem Tonfall. „Geh achtsam damit um.“

 

Ein spöttisches Grinsen umspielte die schmalen Lippen der in schwarz gewandeten Schönheit. „Natürlich.“

 

Diesem kurzen Intermezzo folgten einige mehr oder weniger ereignisarme Stunden, die sich bis in den spätem Nachmittag hineinzogen. Yūsuke nutzte die Zeit, um Shirou ein paar seiner besonders wertvollen Schätze näherzubringen, während Joe und Helena einer Tätigkeit im oberen Stockwerk nachgingen.

 

„Was da oben ist erfährst du schon noch früh genug“, raunte sein Chef aus einer Ecke des Ladens, ehe er einen Langbogen aus Elfenknochen hervorkramte.

 

Als letztendlich doch noch ein neuer Kunde seine Aufwartung machte, den man wohl am ehesten als humanoiden Ziegenbock beschreiben konnte, kam gerade die Hexe zur Tür herein.

 

„Ein Rachegeist aus Ryoku treibt in den Außenbezirken der Vorhölle sein Unwesen. Wer ihn erledigt kassiert drei Goldstücke Belohnung. Das sehen wir uns mal an.“

 

Shirou biss sich auf die Lippen. Er hätte zu gerne gewusst, was dieser vernarbte Ziegenschädel mit einem antiken Liebeszauber anstellen wollte, aber jetzt gab es wohl erst mal Wichtigeres zu tun. Schließlich war er Vanadis sozusagen auf Gedeih und Verderb verpflichtet. Ihm blieb nichts anderes übrig als ihr Folge zu leisten.

 

Von seinen Arbeitskollegen konnte er auch keine Hilfe erwarten. Helena setzte 10 Kupferstücke auf den Rachegeist, was ungefähr dem Wert einer warmen Mahlzeit entsprach, während Yūsuke empfahl, zuerst die Augen anzugreifen.

 

***

Eine Weile lang ging er stumm neben der Hexe her, während sie ihm die verschiedenen Merkmale und Erscheinungsformen von Rachegeistern näher-brachte.

 

Eine solche Bestie entstand immer dann, wenn ein Lebewesen auf unwürdige Weise den Tod gefunden hatte und nicht in der Lage war, mit seinem Dasein abzuschließen. All der Kummer, das Leid und der Hass blieben in Form einer schwarzen Substanz zurück, die bei Kontakt mit den Lebenden deren Herzen befiel. Die Symptome reichten von schrecklichen Alpträumen bis hin zu völliger innerer Leere und Suizidgedanken. In besonders schlimmen Fällen – dann, wenn ein Wirtskörper nicht mehr ausreichte, um die zurückgebliebene Finsternis zu kompensieren – erwuchs aus ihr ein monströses Wesen, das Tod und Zerstörung mit sich brachte.

 

Inzwischen war es schon nach Fünf. Die Sonne ging langsam unter, und die unwirkliche Gegend um sie herum wirkte jetzt weitaus dreckiger und dunkler als noch am Morgen.

 

Eigentlich hatte Shirou damit gerechnet, seinen ersten Weg ins Jenseits durch einen Sprung in die Bodenklappe anzutreten. Allerdings führte diese laut Vanadis in einen engeren Kreis, in dem er erst mal nichts zu suchen hätte. Stattdessen würden sie einen anderen Eingang ganz in der Nähe wählen, der direkt in die Vorhölle führte. Außerdem hatte die Hexe etwas von einem Pförtner erwähnt, bei dem sie die Dauer und das Anliegen ihres Aufenthalts vorbringen mussten.

 

„Ihr beiden Hübschen habt euch wohl verlaufen, was?!“

 

Shirou ließ ein leises Seufzen hören. Wie er das hasste…
Zwar hatte er schon seit einiger Zeit die ihnen folgenden Augenpaare bemerkt, doch hatte er wirklich gehofft dass sich das Gesocks aufs Angaffen beschränken würde.

 

Er wandte den Kopf und sah drei rattenhafte Gestalten drohend auf sich zukommen. Zwei hässlich grinsende Kapuzenträger mit kurz geschorenem Haar flankierten einen Typen der aussah wie die nicht weniger zugedröhnte Reinkarnation Kurt Cobains. Alle drei führten nicht sonderlich furcht-einflößende Klappmesser mit sich.

 

Shirou grinste. „Wenn ihr mir mit den Zahnstochern da Angst machen wolltet muss ich euch enttäuschen. Nach allem was ich in den letzten zwei Tagen gesehen hab müsst ihr euch wirklich mehr anstrengen.“

 

Der offenbare Anführer der Bande lachte überheblich und strich sich die verwilderten, blauen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

 

„Jetzt pass‘ mal gut auf, du selbstgefälliges Arschloch. Entweder du rückst jetzt ganz schnell deine Kohle raus oder wir schauen mal, was wir so alles mit deiner kleinen Freundin anstellen können, comprende?“

 

„Ach, wenn du so nett fragst…“

 

Ohne zu zögern ging Shirou auf sein Gegenüber zu, woraufhin ihn einer der beiden Kapuzenträger attackierte. Er fing die messerführende Hand etwa auf Brustkorbhöhe ab und übte sofort Druck auf das empfindliche Gelenk seines Kontrahenten aus. Dieser schrie schmerzverzehrt auf und ließ die Waffe fallen, ehe er sich einen harten Tritt in die Magengrube einfing. Er spuckte etwas Blut aus und sank kurze Zeit später nach Luft ringend in sich zusammen.

 

Shirou lächelte zufrieden. Seit seinem Einzug in die Maison war er in keine altmodische Prügelei mehr verwickelt worden. Nach diesem ganzen übernatürlichen Kram fühlte sich so etwas erstaunlich gut an.

 

„Na Jungs, wollt ihr noch mehr?“

 

Die beiden übrigen Kerle starrten mit einer Mischung aus Furcht und Entsetzen auf ihren sich am Boden krümmenden Kumpel, ohne ein Wort zu sagen.

 

„Ich glaube das reicht jetzt“, hörte er plötzlich eine klare, ruhige Stimme zu seiner Linken.

 

Da saß eine schöne junge Frau auf dem steinernen Sims eines zerschlagenen Fensters. Sie musste ungefähr Mitte 20 sein. Ihr gelocktes, dunkelbraunes Haar umspielte ihre grünen Augen, die inmitten ihrer zarten Gesichtszüge wirkten wie leuchtende Diamanten. Ihre Haut, von der man mehr als genug zu sehen bekam, war rein und makellos. Makellos wie ihre üppigen weiblichen Rundungen, die…

 

Shirou unterbrach seinen Gedankengang für  einen Moment um sicherzustellen dass er nicht sabberte, als der blauhaarige Flegel das Wort ergriff.

 

„Schwester, dieser miese Drecksack hat Botan ausgeknockt!“

 

„Das hab‘ ich auch gesehen, du Schwachkopf. Jetzt schafft ihn rein, die beiden da wollen zu mir.“

 

„Was?!“, gaben beinahe alle Umstehenden wie aus einem Munde zur Antwort. Nur Vanadis schien nicht im Geringsten überrascht und steuerte gemächlich die Eingangstür an.

 

„Nun steh‘ da nicht so rum, Kleiner. In diesem Haus ist das Dimensionstor.“

 

Shirou runzelte die Stirn und nahm das etwa fünf Stockwerke hohe, deutlich mitgenommene Gebäude fragend in Augenschein.
„Hier…, ist ein Durchgang zur Unterwelt?“

 

***

Unter den wachsamen Augen einiger Hausbewohner, die er bei weitem nicht alle der Gattung Homo Spaniens zuordnen konnte, folgte der Hexenmeister in Ausbildung den beiden Frauen nach Oben.

 

„An diesem Ort befindet sich eines von 14 Portalen in die Vorhölle, die in der ganzen Stadt verteilt sind“, bemerkte Vanadis erklärend. „Lilith - das ist die freizügige junge Dame zu deiner Rechten - bewacht diesen Zugang bereits seit mehreren hundert Jahren. Ohne ihre Zustimmung ist es niemandem möglich, ihn zu passieren.“

 

„Was heißt hier freizügig? Man wird doch wohl noch zeigen dürfen, was man hat!“
Die Schönheit grinste spöttisch und deutete auf Vanadis Oberweite.
„Aber ich versteh‘ schon. Wer so wenig vorzuweisen hat wie du muss natürlich zugeknöpft rumlaufen.“

 

Die Hexe lachte. „Ich kann mich nicht beklagen. Deine Riesendinger dagegen sind schon eher Tumore als Titten. Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen…“

 

„Keine Sorge. Ich find euch beide ziemlich ansprechend.“

 

„Schnauze!“

 

Mittlerweile waren sie im dritten Stockwerk angekommen, wo sie am Ende eines spärlich beleuchteten Korridors vor einer mehrfach gesicherten Tür Halt machten.

 

Lilith schnippte mit den Fingern, woraufhin sich drei transparente Gestalten manifestierten, nur um nach einer kurzen Ehrerbietung von einem Windhauch davongetragen zu werden. Allesamt trugen sie altertümliche Rüstungen und führten je ein Katana mit sich. Von ihrem Aussehen nach zu urteilen handelte es sich wohl um unsichtbare Wächter, die Eindringlinge abhalten sollten.

 

Nachdem das geisterhafte Schauspiel vorüber war, zog die junge Frau einen antik wirkenden, silbernen Schlüssel hervor, den sie an einer Kette um den Hals trug. Langsam, fast schon bedächtig, ließ sie ihn ins Schloss der etwas ramponiert wirkenden Metalltür gleiten. Die kurz darauf erfolgende Drehung setzte einen lautstarken Mechanismus aus mehreren ineinandergreifenden Zahnrädern in Gang, ehe die Verriegelung etwa zehn Sekunden später nachgab.

 

Shirous Körper verkrampfte unwillkürlich, als er den immer stärker werdenden Sog auf seiner Haut registrierte. Die aggressive, kalte Luftströmung kam eindeutig von jenseits der Tür. Und bald schon sah er dass dort nichts war als ein windgepeitschter, schwarzer Tunnel ins Herz der Finsternis.

 

 

 

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