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005. Kapitel: Von Todeshändlern und Traumzeit-Schlüsseln |Vor den Toren 002|
          

 

Yūsuke Hisamori, der bald schon im dämmrigen Licht des abgeschotteten Ladens auf die Beiden zutrat, tat dies – wie stets – mit einer ihm eigenen Symbiose aus Eleganz und Trägheit. Auch das schwarze “Etwas“ baute sich vor Shirou und der Hexe auf – allerdings mehr träge, als elegant.

„Vanadis! Obschon du doch erst am vorigen Tage hier warst, fiel es mir ach so schwer, deine Ankunft zu erwarten.“
Sie errötete, als er ihren Handrücken küsste.
„Deine Schönheit, deine Anmut, wahrlich sind sie unübertroffen. Dein Antlitz, es ist wie das morgendliche Spiel der Sonnenstrahlen im Frühling, wie ein…“

„Jetzt übertreibs mal nicht!“, unterbrach ihn Joe, dessen Pause wohl vorbei war, beim Reinkommen.

 

„Halt du dich da raus! Die Mädels lieben es, wenn sich ihr Gegenüber wie ein Gentleman verhält.“

 

„Du bist ungefähr so gentlemanlike wie die schwarzen Divisionen in Ehrenfeld, also geb‘ dir keine Mühe“, entgegnete eine schöne, junge Frau, die gleich darauf hinter der Tür für die Angestellten verschwand.

 

Shirou, der sie bis zu ihrem Einwand überhaupt nicht wahrgenommen hatte, konnte lediglich einen kurzen Blick in ihre roten, seltsam ausdruckslosen Augen erhaschen. Sah ihr weißblondes, schulterlanges Haar im schummrigen Zwielicht.

 

Die schwarzen Divisionen in Ehrenfeld…? Was hatte es damit nun wieder auf sich? 

 

„Ach ja, vielleicht sollte ich dich undankbare Göre dorthin zurückschicken!!“, brüllte Yūsuke die geschlossene Tür an.

 

„Na hier ist ja plötzlich was los“, ertönte eine dunkle, grollende Stimme, die aus den tiefsten aller Abgründe widerzuhallen schien. „Hallo Vanadis…, und hallo Neuling.“

 

Kaum hatte das wabernde Ungetüm zu seiner Rechten diese Worte ausgesprochen, wandte sich der Besitzer von Hisamori Shouten augen-blicklich dem selbsternannten Hexenmeister in Ausbildung zu, der sich daraufhin einer betont strengen Musterung ausgesetzt sah. Elend lange Augenblicke später, während derer es im wahrsten Sinne des Wortes totenstill gewesen war, wich der prüfende Blick von Shirous künftigem Arbeitgeber einem maskenhaften Lächeln, das wohl alles bedeuten konnte.

 

„Hallo…, Freund.“

 

„H-hallo, entgegnete der Junge etwas angespannt.

 

„Hallo Yūsuke“, murmelte die Hexe sichtlich perplex. Sie verarbeitete wohl immer noch die “Begrüßung“. „Also…, da hast du ihn. Ich…, verschwinde jetzt besser.“
So schnell wie nur irgend möglich machte sich Vanadis aus dem Staub. Doch außer Joe, der ihr kurz zunickte, zeigte niemand sonst eine Regung.

 

Unwillkürlich zuckte Shirou zurück, als sich sein gehörntes Gegenüber, kaum war die Tür nach Draußen wieder ins Schloss gefallen, zu ihm vor beugte. Die schiere Größe des Ladenbesitzers hatte zur Folge, dass die beiden jetzt beinahe Wange an Wange verharrten.

 

-Das ist zu nah…verflucht!-

 

„Schon mal was verkauft, Kleiner?“
Kalter Atem legte sich wie ein Tuch über sein Genick.

 

„Nein, Sir.“

 

„Das dacht‘ ich mir. Mit deinen Haaren und dem Bart siehst du aus wie ein junger Charles Manson.“ Er lächelte wieder. „Glücklicherweise spielt das hier bei uns keine Rolle.“

 

Endlich entfernte sich der Dämon von seinem neuen Angestellten, warf etwas theatralisch den Kopf zurück und starrte einige Sekunden lang schweigend in das Dunkel des Obergeschosses hinauf, ehe sein Blick – wie einem plötzlichen Impuls folgend – die schwarze Kreatur an seiner Seite traf.

 

„Lass uns deine kaufmännischen Fähigkeiten überprüfen, einverstanden? Nehmen wir doch mal meinen alten Weggefährten Asmodeus hier. Weswegen denkst du, ist er heute hergekommen?“

 

„Keinen Schimmer.“

 

„Was?! Nicht mal ‘ne Vermutung? Ich muss sagen das enttäuscht mich jetzt aber ein wenig, Kleiner.“

 

„Tut mir leid Herr Hisamori, aber wie Sie sich vielleicht denken können, bin ich dieser Art von …Geschöpfen… bisher nicht über den Weg gelaufen.“ Shirou wandte sich dem Kunden zu. „Nichts für ungut.“

 

„Mach dir keine Gedanken, Junge. Ich kann mir schon vorstellen, dass mein Anblick nicht gerade alltäglich für dich ist“, tönte dessen grollende Stimme zur Antwort.

 

„Also..., wie soll ich dann bitte wissen, was von dem ganzen Kram hier er kaufen will?“

 

„Da hat er recht“, warf Joe ein, bevor auch er hinter der Tür mit der Aufschrift –Nur für Mitarbeiter- verschwandt.

 

„Schnauze!“

 

Eine Pause entstand, ehe der Dämon einen kurzen Seufzer ausstieß, woraufhin sich seine Gesichtszüge wieder entspannten. Schlaksigen Schrittes steuerte er die Vitrine an, wo er sich gerade noch mit Asmodeus unterhalten hatte.

 

„Also schön, ich zeig’s dir. Und nenn mich Yūsuke, wir sind doch hier nicht in der Schule.“
Er schloss den Glaskasten auf, griff hinein und kam bald schon mit einem etwa 50 cm langen Gegenstand, der aus unnatürlich dunklem, fast schwarzem Holz gefertigt war, zurück. Die rot glühenden Augen des neuen Besitzers dieses uralten Relikts weiteten sich.

 

„Was glaubst du ist das, Kodaibashi?“

 

„Eine überdimensionale Blockflöte?“ Shirou musste sich das Lachen verkneifen. Ein bisschen sah das augenscheinliche Instrument tatsächlich wie eine zu groß geratene Blockflöte aus. Abgesehen von den zahlreichen Ornamenten und runenförmigen Einkerbungen, die an jene auf Vanadis‘ Dolch erinnerten.

 

„Unterschätz‘ dieses teuflische Ding bloß nicht, Bursche. Was du hier siehst ist einer von nur drei noch erhaltenen Traumzeit-Schlüsseln aus der alten Welt. Alle anderen Exemplare, die Dädalus selbst vor Urzeiten angefertigt hat sind verschollen. Glaub mir, diese Artefakte sind ein Vermögen wert.“

 

„Das hast du auch mehr als deutlich gemacht…“, zischte Asmodeus hörbar verstimmt.

 

„Ach komm schon, 63 Goldstücke waren ein absoluter Sonderpreis. Jedem anderen hätte ich mindestens…“

 

„Schon klar. Her mit dem Ding!“
Eine klauenbewehrte  Pranke erwuchs aus der wabernden, schwarzen Masse, die den Traumzeit-Schlüssel zitternd vor Erregung entgegennahm.

 

„Und welchen Nutzen hat dieser Gegenstand“, fragte der “junge Charles Manson“.

 

„Welchen Nutzen er hat? Nun ja Kleiner, hier wird’s interessant.“ Yūsuke grinste böse.
„Spielt der Besitzer eine bestimmte Melodie darauf, ist es diesem während-dessen gestattet, zwischen den Zeiten zu wandeln. Im Klartext heißt das, dass er sich ungehindert fortbewegen kann, während alles um ihn herum zu einem erstarrten Gruselkabinett verkommt. Oh wie ich ihr doch verfallen bin, dieser Melodie…, hey - nicht jetzt!

 

Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Eigentümer von Hisamori Shouten, seinen alten Freund von der sofortigen Anwendung des Schlüssels abzuhalten. Letzterer brummte verärgert.

 

„Beeil dich und mach den Durchgang frei, Todeshändler. Ich habe viel zu tun.“
Noch ehe Shirou sich fragen konnte, was dieser Satz zu bedeuten hatte, öffnete sich auf Hisamoris Fingerschnippen hin eine Klappe im Boden, die einen dunklen, windgepeitschten und im wahrsten Sinne des Wortes gellenden Abgrund freigab.

 

„Dann mach’s mal gut. Und nenn‘ mich nicht so, du weißt ganz genau, dass ich das hasse.“

 

„Solange das erste Licht eines neuen Tages die Schwärze der Nacht verschlingt, wird Yūsuke Hisamori auf ewig der Todeshändler sein. Diese Bürde hast du dir selbst aufgelastet. Wir sehen uns.“

 

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, fiel die schemenhafte Gestalt Asmodeus‘ augenblicklich in sich zusammen, ehe er nichts mehr war als ein wilder Sturm aus schwarzem Rauch, der geräuschvoll durch die Klappe ins Bodenlose entschwand. Als er den Durchgang zur Unterwelt passierte, war ein unerträgliches Heulen und Wehklagen wie aus tausend Kehlen zu hören.

 

„Ruhe!“, schrie Yūsuke und knallte die Klappe zu.
„Immer dasselbe mit diesen ruhelosen Seelen! Die wollen einfach nicht still sein.“

 

„Ach ja…ruhelose Seelen…, echt nervig sowas“, murmelte Shirou abwesend vor sich hin.
-Gott verdammt, warum ich?...-

 

„Weißt du was jetzt angebracht wäre?“

 

„Hm?“

 

„Eine Mitarbeiter-Versammlung. Na du weißt schon, zu deinem Einstand hier.“

 

„Das macht Sinn, schätz‘ ich…“

 

„Und wie das Sinn macht! Nun denn, als Gründer und Inhaber dieses weiß Gott einmaligen Etablissements rufe ich, Yūsuke Hisamori hiermit die heute Versammlung aus!“

 


 

„Wo bleiben diese überbezahlten Taugenichtse?“

 

„Die sind schon im Mitarbeiterraum.“

 

„Ach so, verstehe.“

 

***

 

 

Hinter der Tür inmitten des riesigen Bücherregals befand sich ein überraschend geräumiges Zimmer, welches jedoch genauso wie der Kundenbereich mit allerlei Raritäten vollgestopft war.

 

In der Mitte stand ein eichener Tisch, an dem bereits Joe und die ihm unbekannte junge Frau platzgenommen hatten. Eine kleine Küchenzeile mit Herd, Ofen und Kühlschrank war ebenso auszumachen wie ein weiterer Durchgang am anderen Ende des Raumes, obwohl es dort gemessen am Umfang des Gebäudes eigentlich nicht mehr weitergehen durfte. Zudem eröffnete ein bemitleidenswertes, schmales Fenster lediglich den Blick auf eine beinahe direkt anschließende Backsteinmauer.

 

Unter den wachsamen Augen seiner neuen Kollegen setzte sich Shirou auf einen der  beiden noch freien Stühle. Yūsuke tat es ihm gleich. Letzterer räusperte sich nach einigen Sekunden peinlichen Schweigens bedeutungsvoll und ergriff das Wort.

 

„Shirou Kodaibashi! Hiermit begrüße ich dich, auch im Namen aller Mitarbeiter – damit meine ich diese faulen Säcke hier – im illustren Kreis der Hisamori-Brigade! Gerade du wirst hier viele neue Erfahrungen machen. Lass dir aber gesagt sein, dass du dich ebenso auf arbeitsreiche Stunden einstellen musst.“

 

„Ach was!, hier ist doch nie was los. Der Verkauf des Traumzeit-Schlüssels war n‘ Glückstreffer. Wenn wir deine Waren nicht dauernd auf die großen Schlachtfelder exportieren würden, wär‘ die Luft schon längst raus.“

 

„Hab ich dir die Erlaubnis erteilt zu sprechen, Helena? Hab ich das?!, polterte Yūsuke, ehe er begann, die junge Frau nachzuäffen.

 

„Oh, ich war in Ehrenfeld, wo man entweder stirbt oder emotional verkrüppelt. Ich war an diesem verfluchten Ort, wo man im Blut erstickt, wenn sich Vergewaltiger, Massenmörder und Psychopathen gegenseitig abschlachten. Was zum Teufel hatte ich da nur verloren?…, oh warte, jetzt weiß ich’s wieder…“

 

„Was hältst du davon, wenn ich dir ganz langsam den Schädel aufschneide, Todeshändler?“

 

„Versuch dein Glück, du kleine Schlange!“

 

„Jetzt haltet endlich die Klappe!, ihr vermittelt dem Neuen ein völlig falsches Bild von uns“, warf Joe lautstark ein, woraufhin die hitzige Diskussion jäh erstarb.

 

„Ist es hier immer so harmonisch?“, fragte Shirou lachend. In der Maison hatte er solche Wortgefechte lieben gelernt. Dort ging es oft ähnlich zur Sache, auch wenn die Streitpunkte fernab von jenseitigen Schlachtfeldern lagen.

 

„Lass dich bloß nicht täuschen. Die beiden Streithähne hier geben sich zwar alle Mühe es zu verheimlichen, aber eigentlich sind sie ein Herz und eine Seele.“

 

„Das wüsst ich aber…“, murmelte Helena leise. Sie legte ihre Stirn in Falten. „Also schön, reden wir über den Neuen. Der soll also Kuro beerben, wie?“

 

Augenblicklich schlug die Stimmung um und der Junge blickte in eine Reihe ernster Gesichter. Es war ganz so, als sei ihnen allen schlagartig die Schwere dieser letzten Worte bewusst geworden.

 

„Wer ist das nun wieder?“

 

Eine längere Pause entstand.

 

„Wir wollen nicht über Shinji Kuro sprechen. Er ist lange fort“, antwortete Yūsuke knapp.

 

Wieder trat Schweigen ein, das den Raum wohl auch noch einige Zeit lang drückend erfüllt hätte, wenn nicht kurz darauf ein durchdringendes Bimmeln von Draußen zu hören gewesen wäre.

 

„Da klopft jemand von der anderen Seite an das Tor zum Laden“, bemerkte Joe erklärend.

 

„Na los Leute, die Arbeit ruft!“
Helena gähnte unverhohlen. „Packen wir’s an.“

 

„Frisch ans Werk, Hisamori-Brigade!“

 

Halt die Luft an, Yūsuke!“

 

„Hörst du das, Shirou? Die respektieren mich nicht. Mich!! Ist das zu glauben?“

 

“Der Neue“ lächelte still in sich hinein.
Wenn sie ihm auch offenkundig einige Dinge vorenthielten, ließ es sich mit solchen Kollegen doch erst mal aushalten.

 

Das war sie also – seine zweite Chance.

 

 

 

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