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002. Kapitel: Was einst war… |Seelenlast 002|

 

 

Fast schon widerstrebend ließ sie von ihm ab und richtete sich auf. Für einen Sünder hatte der Typ aber auch ganz schön viel Seele zu bieten gehabt. Da war man doch umso mehr gewillt, jeden Tropfen dieser Delikatesse zu verschlingen. Es konnte schließlich niemand sagen, wann sie das nächste Mal in den Genuss kommen würde.

 

Vanadis leckte sich die Lippen, während ihr Blick noch ein wenig auf dem jungen Kerl ruhte, der mit weit geöffnetem Mund und glasigen Augen starr auf dem vereisten Kopfsteinpflaster lag.

 

„Ich war doch glatt so scharf auf dich, dass ich die Belehrung vergessen hab‘. Soll doch auch jeder in Ungnade gefallene genau wissen, was wieso mit ihm passiert. Verdammte Bürokraten…, wo so einer wie du doch eh von niemandem vermisst wird.“

 

Sie grinste.

 

„Rate mal wer gerade einen Herzinfarkt erlitten hat. Eine Schande in deinem Alter. Würde deine Eltern sicher vor Trauer ins Grab bringen – ich meine, wenn du welche hättest.
Ganz so einfach wie es für die Sterblichen aussehen wird ist es aber nicht. Nach dem Verlust deiner zugegebenermaßen ziemlich leckeren Ursubstanz bist du im Grunde nichts weiter als eine leere Hülle. Ein seelenloses Stück Dreck – Ausschussware eben.“

 

Ihre Gesichtszüge verhärteten sich wieder.

 

„Also dann, viel Glück im nächsten Leben…, falls dir eines gestattet wird. Ich geh jetzt besser, sonst taucht hier noch jemand auf und ich muss Überstunden machen. Viel Spaß auf deiner Reise ins Vergessen, Kleiner.“

 

Sie hatte sich bereits einige Schritte von Shirou entfernt und war gerade im Begriff die diesseitige Welt zu verlassen, als hinter ihr ein leises Röcheln zu hören war.
Für einen Moment hielt sie inne, doch wollte das kaum hörbare Geräusch so gleich ihrer Einbildung anlasten. Schließlich war es ein langer Tag gewesen und nicht nur Menschen werden mü…

 

Schlagartig fuhr Vanadis herum. Ein zweites Röcheln, diesmal etwas kraftvoller…, das konnte nie und nimmer ein Hirngespinst sein.
Und tatsächlich wurde der scheinbare Kadaver zu ihren Füßen immer wieder von krampfartigen Zuckungen erfasst – ihre durchdringenden Augen erspähten selbst in der Dunkelheit jede Bewegung. Was zur Hölle ging hier nur vor sich?!

 

„Hilf mir…“

 

Ungläubig starrte sie ihn an.

 

„Na mach schon, du Miststück. Lass mich hier nicht so liegen.“

 

„Das…, das ist unmöglich. Du müsstest tot sein!“
So schnell, dass ihr kein sterbliches Wesen je hätte folgen können, war sie bei ihm. Sie legte eine Hand auf seine Brust, die bald schon auf Gegendruck stieß. Da glühte ein heller Schein in seinem Inneren. Äußerst schwach zwar, aber er war da.
Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Kein normaler Mensch verfügte über eine solche Menge an Seelenenergie, geschweige denn jemand wie er, der Schuld auf sich geladen hatte.

 

„Ich verstehe das nicht. Du kannst gar nicht am Leben sein!, das glaub‘ ich einfach nicht.“

 

„Halt…, halt endlich mal die Klappe und hilf mir“, flüsterte er mit schwacher Stimme.
„Bitte…“

 

Sie musterte den Jungen weiter ungläubig, rührte sich jedoch nicht.

 

„Verdammt…“. Sein geschundener Körper zitterte mit jeder Sekunde heftiger.
„Verdammt nochmal! Ich hab‘ wirklich keine Ahnung was die ganze Scheiße hier soll, aber du kannst mich doch nicht einfach so krepieren lassen!!“

 

Die gewaltige Schockwelle – eine unvermittelte Eruption roher Energie – hätte sie beinahe mitgerissen. Es war schon ein Schnellzauber nötig, um dem Druck stand zu halten.

 

„Was…, was zum Teufel war das denn?“, keuchte Shirou halb benommen, ehe kleine Rinnsale dunkelroten Blutes aus seinem Mund hervortraten, die sich so gleich ihren Weg über die zerklüfteten, kalten Lippen bahnten.
Er spürte seinen Geist immer weiter entschwinden, das trostlose Geschehen sich mit jedem Moment weiter entfernen. Wenn nicht bald etwas passierte würden ihm endgültig die Sinne versagen. Er würde erfrieren wie ein elender Straßenköter. Er hustete schwach, ehe sich seine blutverschmierten Lippen zu einem grotesken Lächeln verzogen. Sein ganzes Leben hatte man ihm das Gefühl gegeben, Abschaum zu sein. Da war so ein jämmerlicher Tod doch irgendwie passend. Auf eine morbide, verdrehte Art, versteht sich.
Was ihn davon abhielt loszulassen, war eigentlich nichts weiter als die Frage nach dem Warum.

 

Warum dieser Tag und nicht irgendein anderer unter all den abertausenden, die er bereits ziellos umhergeirrt war? Warum dieser gottverlassene Ort unter all jenen, an denen man sein Leben lassen konnte? Und zuletzt…, warum kein rücksichtsloser Autofahrer, geisteskranker Mörder oder fataler Sturz in den Abgrund? Warum diese…Kreatur?!

 

Kaum hatte sich die Frage nach seiner scheinbaren Mörderin vor seinem inneren Auge ausgebreitet, strömte etwas Warmes, unsagbar Wohltuendes durch seinen Körper. Mit einem Mal kehrte das Gefühl in Shirous Glieder zurück. Auch das Atmen fiel ihm jetzt deutlich leichter, ganz so, als habe man eine große Last von ihm genommen. Instinktiv schreckte er nach oben und spuckte das sich in seiner Mundhöhle angestaute Blut aus, ehe auch seine Stimme wieder zu alter Stärke fand.

 

„Ich…, ich bin wieder…“, doch da legte sich einer ihrer schlanken Finger auf seinen Mund und versiegelte seine Lippen.

 

„Überanstrenge dich nicht, Junge. Ich hab‘ dir lediglich etwas Zeit verschafft, aber bald schon werden deine neu gewonnen Kräfte wieder schwinden und du machst endgültig nen‘ Abgang. Also verschwende deine und meine Zeit jetzt bloß nicht mit Nichtigkeiten, alles klar?“

 

Er schluckte, tat jedoch, wie ihm geheißen und schwieg. Selbst, als sich ihr Finger von seinen Lippen löste.
Sie war jetzt ziemlich angespannt, das war klar ersichtlich. Überhaupt war es ihm nun zum ersten Mal seit Beginn des ganzen Vorfalls möglich, sein Gegenüber genauer zu betrachten.
Vor ihm kniete eine junge Frau auf dem Kopfsteinpflaster. Ihr schwarzes, zu einem hohen Zopf gebundenes Haar war von vereinzelten, grünen Strähnen durchsetzt.

 

-Die Farbkombination hat irgendwie was-, war doch tatsächlich der erste Gedanke, der ihm bei diesem Anblick in den Sinn kam. Ganz so, als hätten keine anderen Auffälligkeiten nach seinem Interesse verlangt. Die beiden spitzzulaufenden, geschwungenen Hörner auf ihrem Kopf zum Beispiel waren, obwohl nicht besonders groß, wohl kaum zu übersehen. Auch ihre Augen schienen alles andere als menschlich zu sein. Er hätte sie wohl am ehesten als smaragdgrüne, wild lodernde Flammen beschrieben. Die nächtliche Schwärze versengende Feuer - umgeben von blasser Haut.
Setzte man diese Eindrücke zu einem Ganzen zusammen, sah sie also ganz bestimmt nicht wie das Mädchen von neben an aus. Aber auch nicht wie etwas, das einem buchstäblich die Lebenskraft aussaugt.

 

„Ich kenne dich…“

 

Ihre Worte rissen ihn jäh aus seiner Gedankenwelt.

 

„Ich weiß wer du bist, ganz genau sogar.
Shirou Kodaibashi. 22 Jahre alt. Aufgewachsen in mehreren staatlichen Heimen - in sich gekehrter Einzelgänger – tragische Geschichte. Bla bla bla.
Allerdings hast du des Öfteren durch regelrechte Gewaltausbrüche von dir Reden gemacht, weshalb du früher oder später aus sämtlichen Einrichtung geflogen bist. Und so ging es immer weiter. Kein Glück in der Schule, kein Glück im Berufsleben…“
Sie grinste.
„Man könnte beinah sagen, dass du dein Glück erst nach deinem Einzug in dieser Absteige gefunden hast. Du weißt schon, in Gesellschaft der anderen Freaks.“

 

Der Ausdruck in seinem Gesicht verfinstere sich.

 

„Hey, bleib locker. Das sind sicher alles prima Kumpels, oder wie man das heutzutage sagt.“

 

„Heutzutage? Zum Teufel wie alt bist du eigentlich?“

 

„Bestimmt zehn Mal so alt wie all ihr Versager zusammen! Und jetzt halt die Klappe, ich bin noch nicht fertig.
Jedenfalls, worauf ich hinaus will ist Folgendes:
Du bist ein Niemand, selbst unter den Menschen. Dein ganzes Leben bis zu diesem Punkt war absolut bedeutungslos und doch… hast du während der letzten paar Minuten Dinge vollbracht, die die Möglichkeiten von gewöhnlichen Sterblichen weit überschreiten. Ich wiederhole mich ja nur ungern, aber du solltest längst tot sein, um mal das Wichtigste hervorzuheben.“

 

„Und was bedeutet das jetzt?“, fragte er trotzig, während seine Glieder wieder schwerer wurden.

 

„Das bedeutet, dass ich meine Meinung über dich wohl überdenken muss. Ein normaler Mensch bist du ganz sicher nicht, soviel steht fest.“

 

Er starrte ungläubig zu ihr hoch. Sie erwiderte seinen Blick.

 

„Also Kleiner, wer oder was bist du?“
Einen Moment lang herrschte Stille.

 

„Wie bitte?!“, er legte die Stirn in Falten.
„Wenn ich durch diese ganze Nummer hier mein Kurzzeitgedächtnis noch nicht eingebüßt habe hast du doch gerade lang und breit dargelegt, wer ich bin.
Du wirst lachen, meine Schöne, mehr weiß ich auch nicht.“

 

Sie seufzte.

 

„Also gut. Fangen wir doch einfach mal bei deinem Namen an. Den muss dir doch irgendjemand gegeben haben, oder nicht? Na los, spuck‘s aus!“

 

„Ich hab‘ keine Ahnung wer meine Eltern sind oder waren, auch von sonstigen Verwandten weiß ich nichts.“
Er machte eine Pause.
„Im ersten Heim war ich bis kurz nach meinem achten Geburtstag. Den Betreuern dort konnte ich nur entlocken, dass sie mich eines Nachts auf der Schwelle gefunden hatten. Es müssen wohl ungewöhnlich starke Windböen gegen die Fenster geschlagen haben – in dem Punkt waren sich alle einig. Für kurze Zeit war es unnatürlich hell, weshalb ich einem Mädchen auffiel, das am Fenster stand. Ihr Name war Elies, sie stammte ursprünglich aus Europa.“
Er röchelte schwach.

 

„Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Gehört hätte mich sicher niemand und vor die Tür wäre ohne einen Grund auch keiner mehr gegangen.
Ich lag da, vollkommen nackt, in einem Weidenkörbchen. Sie sagten mir immer wieder, ich sei etwas Besonderes. Wer weiß, vielleicht hat Gott noch Pläne mit mir.“

 

Vanadis lächelte boshaft.
„Womöglich…“

 

„Mein Name war… in einer Kette eingraviert, die ich um den Hals trug. Ich hab‘ das Ding heut noch, sieh mal hier...“
Shirou zeigte ihr die kleine Goldkette, die er mittlerweile am Handgelenk trug.
„Schon irgendwie seltsam, wenn ich mir die ganze Geschichte jetzt nochmal vor Augen rufe. Weißt du, damals hat auch eine alte Nonne ab und zu im Heim gearbeitet. Auch von ihr hab‘ ich mir immer wieder die Ereignisse dieser Nacht erzählen lassen. Ich konnte einfach nicht anders, meine Neugier war zu groß. Einmal sagte sie etwas, das mir bis heute nicht aus dem Kopf gehen will. Ich kann es nicht vergessen.“
Manchmal denke ich, du bist einfach in die Welt gefallen. So allein, wie du warst.

 

Vanadis' Augen weiteten sich.
„Was hast du da gesagt?, in die Welt gefallen?!“

 

„Nein, das hat sie gesagt.“

 

„Ja ja, jetzt sei mal nicht so kleinlich, ist eh scheißegal wer’s gesagt hat. In die Welt gefallen – in die Welt gefallen…“

 

„Alles klar bei dir?“

 

„Bestens, wie denn auch sonst. Kodaibashi – weißt du eigentlich, was das bedeutet?“

 

Alte Brücke – Brücke aus alten Zeiten, na und?“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, verfiel die junge Frau in ein derart überbordendes Lachen, dass er es sicher mit der Angst zu tun bekommen hätte, würde er nicht ohnehin schon an der Pforte ins Nirwana kratzen. Als sie sich endlich wieder beruhigt hatte kreuzten ihre wilden Augen untermalt von einem breiten Grinsen seinen verunsicherten Blick.

 

„Na, was denkst du, Shirou? Einen Versuch ist es allemal wert, oder nicht?

 

„Was…hast du vor?“, hustete dieser, mittlerweile kaum noch in der Lage zu sprechen.

 

Vor den Augen der Hexe erwachten die Geister des letzten großen Krieges noch einmal zu neuem Leben. Elend und Blut, der wild um sich greifende Tod, die alles versengende Feuerwalze. Berge aufgereihter Kadaver die sich bis in die Wolken auftürmten – wohin man auch sah ein stetig wachsendes Schlachtengemälde. Nie würde sie vergessen, wie er durch die Flammen ging. Er, der Geächtete, ein schreiendes Bündel im Arm. Konnte es sein dass…

 

„Na schön. Ich biete dir einen Ausweg, Junge.“

 

„Einen…Ausweg?!“

 

„Ganz recht. Du bist was Besonderes. Schändlich wäre es, dich hier einfach so sterben zu lassen. Nein…, du bist zu größeren Dingen bestimmt, glaub‘ mir.“
Sie lächelte böse. In etwa so wie ein sadistisches Kind, das vor hat, den betäubten Nachbarshund im Hobbykeller des Vaters auseinanderzunehmen.

 

„Worauf willst du hinaus. Wenn du mir helfen willst, dann beeil dich gefälligst!!“

 

„Oh, aber diese Entscheidung musst ganz allein du treffen. Hilf dir selbst und werde mein Auszubildender.
Wir beide, du und ich würden die Unterwelt unsicher machen. Zuerst würden wir uns hauptsächlich in der Vorhölle rumtreiben, ein paar niedere Dämonen gegen Kopfgeld zur Strecke bringen – na du weißt schon. Wenn du soweit bist allerdings – und glaub mir da hab ich ein echt tolles Gefühl…“

 

„Schluss mit dem Gequatsche, ich mach’s“, unterbrach er sie harsch.

 

„Ich merk schon, du bist ganz euphorisch. Allerdings muss ich dich noch auf einige Dinge hin weißen. Weißt du, es kann mit unter ganz schön gefährlich wer…“

 

„Gefährlicher als jetzt gerade wird’s sicher nicht“, schrie er mit sich überschlagender Stimme.
Erneut quoll ihm Blut aus dem Mund.
„Bei mir gehen gleich die Lichter aus, also her mit dem Vertrag, aber schnell, wenn ich bitten darf! Lass mich einfach unterschreiben – Blut, Tinte, Pisse von mir aus aber bringen wir’s verdammt nochmal hinter uns!“

 

 

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