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003. Kapitel: Zerbrochene Hälften |Seelenlast 003|

 

 

Fast schon behutsam strich sie ihm das schwarze, leicht verwilderte Haar aus dem Gesicht. Die zerzausten Strähnen klebten auf der verschwitzten Haut, fielen ihm vereinzelt gar bis über seine klaren, blauen Augen.
Eigentlich war er ein ganz hübscher Kerl. Ein bisschen hager vielleicht, aber er hatte bis jetzt ja auch nicht gerade wie ein König gelebt.

 

„Oh, es gibt keinen Vertrag“, setzte sie an, während ihre Hand auf seiner linken Wange verharrte.

„Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne: Ich werd‘ dir wohl kaum ein extra für diese Gelegenheit aufgesetztes Schriftstück unter die Nase halten, soviel dürfte schon mal klar sein.“
Sie leckte sich die Lippen.
„Du wirst unser Zeichen tragen – vom heutigen Tage an, bis an dein Ende. Sobald du es erhalten hast, ist deine Seele fortan an uns gebunden.“

 

„Hört sich klasse an – beeil‘ dich“, entgegnete er hustend, wobei die Worte nur noch bruchstückhaft nach außen drangen.

 

Tatsächlich verschwendete sie keine Zeit und zog einen bereits etwas mitgenommenen, altgedienten Dolch aus einer Innentasche ihres Gewands. Dessen Griff war aus dunklem Holz gefertigt, das von mehreren runenförmigen Einkerbungen durchzogen war, die er jedoch allesamt nicht zuordnen konnte.

 

- Also läuft es auf Blut hinaus -, fuhr es ihm schicksalsergebend durch den Kopf, doch seine fetzenartigen Gedanken verloren sich bald schon in den lähmenden Weiten des Deliriums.

 

Sie ergriff seinen von ihr aus gesehen linken Arm und drehte ihn auf die Innenseite. Ihre Hand war kalt.
„Das dürfte jetzt ein klein bisschen weh tun, Junge. Aber wahrscheinlich spürst du eh nicht mehr viel.“

 

In der Tat reagierte er kaum, als die stählerne Klinge sein Fleisch durchdrang. Einzig die Augenlieder zuckten ein wenig.
Tiefe, präzise Einschnitte hinterließen zwei blutrote Linien auf seinem Unterarm. Die erste war senkrecht und wurde von der zweiten, waagerecht verlaufenden, im unteren Teil gekreuzt. Gemeinsam beschrieben sie ein altbekanntes Symbol, das sogleich aufzuleuchten begann.
Shirou verdrehte die Augen, kam jedoch nicht umhin festzustellen, dass ihm das Gleisen auf seinem Arm augenblickliche Linderung verschaffte.

 

„Ein umgedrehtes Kreuz, ernsthaft jetzt?!“
Er brauchte sie nur anzusehen um zu wissen, dass gleich wieder ein Monolog auf ihn zurollen würde.

 

„Ich befürchte, das Ganze ist etwas komplizierter als du vielleicht denkst…“

 

„Ist es das nicht immer“, keifte er schroff, doch sie fuhr unbeeindruckt fort.

 

„Dereinst, als diese Welt noch jung war – in alten Zeiten so fern, dass heute kaum noch jemand davon zu berichten weiß, waren die Unterwelt und jener Ort, den die Menschen den Himmel nennen, unter einem Zeichen vereint."

 

„Sagst du jetzt n‘ Gedicht auf oder was?“

 

„Halt gefälligst die Klappe und hör zu!
Dieses Symbol, welches die Gegensätzlichkeit der beiden Seiten in sich barg, die nur gemeinsam wahrhaft vollkommen sein konnten, ergab sich aus einer senkrechten und zwei waagerechten Linien, die die Senkrechte im oberen und unteren Teil kreuzten.

 

Stell dir die beiden Seiten vor wie zwei verfeindete Geschwister, die einander genauso verachten, wie sie sich brauchen.“
Sie stieß einen Schwall kalten Atem in die abendliche Dunkelheit aus.
„Eine Gemeinschaft aus Repräsentanten beider Lager tat alles dafür, den brüchigen Frieden zu wahren. Doch nach 13 Jahrzehnten der Ruhe obsiegten letztlich die Gegensätze und der seit jeher unterdrückte Konflikt artete in einen fürchterlichen Krieg aus. Viele der Alten sind damals zu Tode gekommen und die beiden Geschwister wurden für immer entzweit. Dieses umgekehrte Kreuz, wie du es nennst, ist also viel mehr als das. Es symbolisiert den zerbrochenen Traum von Frieden und Miteinander.“

 

„Man, das ist tiefgründig…“

 Er zwang sich zu einem Lächeln.
„Gut zu wissen…, dass es nicht immer so Scheiße war.“

 

Eine Zeitlang saßen sie einfach nur da. Keiner der Beiden vermochte etwas zu sagen, was hätte das denn auch für einen Sinn gehabt?            
Einzig der Wind säuselte sein einsames Lied, verwirbelte die kalte Luft und zwängte sich durch jede Ritze der alten, teils maroden Häuserfassaden um sie herum, ehe die Hexe dem Jungen auf die Beine half. Das Mal auf Shirous Arm hatte unterdessen immer heller geglüht, ehe das feurige Gleisen, kaum hatte er sich vollends aufgerichtet, auf seinem Höhepunkt erlosch.

 

- Wie ich es mir dachte, sein Potential ist außergewöhnlich. Es scheint fast so, als habe das Kreuz auf ihn gewartet – unglaublich. -

 

„Es…, es ist nicht mehr da.“

 

„Es ist noch da, du kannst es nur nicht sehen. Glaub‘ mir, das Ding hat seine Vorzüge, aber darüber unterhalten wir uns ein anderes Mal.“
Sie lächelte.

„Na komm, ich begleite dich nach Hause.“

 

Ohne ein Wort der Wiederrede trabte er neben ihr her. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, lieber alleine gehen zu wollen, und das obwohl Hikari nicht besonders viel von weiblichen Bekanntschaften hielt. Weshalb sie das Treiben von Kurenai und Yuriko hingegen weitestgehend klaglos hinnahm war ihm schleierhaft, aber darüber wollte er sich in diesem Augenblick nun wirklich nicht den Kopf zerbrechen.

 

„Wie geht’s jetzt eigentlich weiter?“
Er fuhr sich über die immer noch schweißnasse Stirn.

„Zu aller erst, was bin ich denn jetzt überhaupt? Dämon in Ausbildung, oder…“

 

„Eigentlich bin ich eine Hexe. Von mir aus kannst du dir was dazu Passendes aussuchen. Eine offizielle Bezeichnung gibt es soweit ich weiß nicht.“

 

„Hexenmeister in Ausbildung. Das klingt doch gut, findest du nicht auch?“

 

Sie lachte.

„Ja, das hat schon was…“

 

„Moment mal, wenn du eine Hexe bist, warum hast du dann keinen Besen? Du weißt schon, zum Fliegen und so.“

 

„Sowas ist nur nötig, wenn man selbst nicht fliegen kann. In dem Fall braucht man einen verzauberten Gegenstand.“

 

Soll das heißen, du kannst auch so fliegen?!“

 

„Ja.“

 

„Kannst du’s mir zeigen.“

 

„Nein.“

 

„Ach komm schon…“

 

„Ruhe jetzt! Sonst überleg‘ ich mir die Sache mit deiner Ausbildung nochmal.“

 

„Als ob, du bist total scharf auf mich, das hab‘ ich schon gemerkt.“

 

„Du glaubst doch selbst nicht, dass ich dir darauf eine Antwort gebe.“

 

Während sie so unter andauernden Wortduellen durch die beinahe menschenleeren Straßen gingen, konnte sich Shirou eines Gefühls der Geborgenheit kaum erwehren. Auch wenn er es wohl kaum zugegeben hätte, fühlte er sich doch ganz eindeutig zu ihr hingezogen. Von nun an würde er an sie gebunden sein – unumkehrbar.    

 

***

 

Vanadis wie die nordische Göttin also…, nicht gerade geläufig hierzulande. Ihm war völlig entfallen, sie nach ihrem Namen zu fragen, ehe Hikari es tat. Letztere schien überdies nicht gerade erfreut darüber zu sein, dass Shirou sich offenbar mit jungen Frauen herumtrieb, deren Namen er noch nicht einmal kannte.

 

Manchmal verhielt sie sich ihm gegenüber fast wie eine Ersatzmutter, die jedoch in diesem Fall nicht allzu lange ungehalten war, da die Hexe sich bald schon verabschiedete. Zu seiner Verwunderung tat sie dies mit einem tadellosen Knicks, was eindrucksvoll nahelegte, dass sie wirklich um einiges älter sein musste, als ihr Äußeres es vermuten ließ. Ihre Hörner waren während der aus dem Hintergrund interessiert mit verfolgten Unterhaltung praktischerweise nicht zu sehen, was dahingehende Fragen schon mal im Keim erstickte, wofür er äußert dankbar war, zumal diesbezüglich in den nächsten Tagen sicher noch einiges auf ihn zukommen würde.

 

„Ich hol‘ dich Morgenfrüh hier ab“, sagte Vanadis noch, ehe sie sich zum gehen wandte, was dem Jungen einen weiteren, prüfenden Blick bescherte und ihm zudem nochmal vor Augen führte, wo er hier hineingeraten war. Wenn er aber eines wusste, dann dass ganz gleich was da auch auf ihn zukam, egal wie furchterregend oder monströs – allemal besser war als der Tod.

 

„Es freut mich jedenfalls außerordentlich, Sie wohlbehalten zurück zu wissen, Herr Kodaibashi. Es ist spät geworden…“, sagte Hikari drinnen angekommen schließlich.

 

„Ja, freut mich auch Rin“, erwiderte Shirou und bereute es noch in derselben Sekunde.

 

„Herr Kodaibashi, ich muss Sie bitten mich nicht länger bei meinem Vornamen zu nennen. Das hatten wir doch besprochen.“

 

„Tut…, tut mir leid.“
Er versuchte erst gar nicht, die herannahenden Tränen zurückzuhalten. Als ihm vorhin - auf dem kalten Pflastersteinboden liegend – für einen kurzen Augenblick in den Sinn gekommen war, dass er die verkorksten Idioten vor ihm vielleicht nie wieder sehen würde, hätte ihn dieser Gedanke beinahe zerstört. Er wollte nie wieder allein sein, nie mehr…

 

Einige Sekunden lang stand er einfach nur da und weinte. Dann war er Hikari doch glatt um den Hals gefallen, woraufhin Akiyama ein Gesicht machte, als wäre er gerade Zeuge von intelligentem, außerirdischen Leben geworden.
Die Vier hatten sich die Zeit bis hierhin mit einem dieser alten Kaijū-Klassiker aus den 60gern vertrieben. Als er sich wieder beruhigt hatte und sein Blick flüchtig den Bildschirm streifte – an Konzentration war beim besten Willen nicht mehr zu denken – scheuchte gerade eine riesige, hölzerne Kreatur in Samurai-Aufmachung ein paar bemitleidenswerte Bauern auf.

 

Auch wenn Kurenai darauf bestand, dass Filme wie dieser genau die richtige Medizin gegen Flittchen seien, was Shirou zumindest ein Lächeln entlockte, wollte er jetzt nichts weiter als seine geschundenen Glieder irgendwie ins Bett zu bugsieren.

 

„Ach komm schon Kleiner, lauf nicht weg. Du kannst mit Yuriko kuscheln, wenn du willst.“

 

Yuri, die zwischen den langen, schlanken Beinen ihrer Freundin auf der Couch saß, drehte fragend den Kopf.

 

„Was soll das denn heißen?“
Ihre schönen grünen Augen weiteten sich.

 

„Würde es dir etwa nicht gefallen, häh?“
Kurenai liebkoste ihren Hals.

 

„Ich…, ich weiß nicht genau.“

 

„Keine unlauteren Praktiken!“, unterbrach Hikari die Beiden.

 

Er hatte keine Ahnung, wie er die Treppen nach Oben, den Gang entlang und in sein Zimmer gelangt war. In der Sekunde, als sein Körper ausgestreckt im von Dunkelheit umgebenen Bett lag, schien alles andere wie ausgelöscht.
Wahrscheinlich hatte sein Unterbewusstsein einen großen Teil der Arbeit erledigt, schließlich kannte er den Weg in- und auswendig – schon allein deshalb, weil es ihn nachts des Öfteren ins Freie zog. Es gab nichts Schöneres als einsame Spaziergänge um diese Zeit. Meistens jedenfalls.
Shirou holte tief Luft. Er war am Leben, und noch dazu in einem Stück. Ob er das Morgen Abend auch noch behaupten konnte?
Unwillkürlich verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Wenn die nächsten Tage eines versprachen, dann Aufregung.

 

 

 

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